Rezension von Agricola


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise vom Heidelberger Spieleverlag bereitgestellt wurde.)

Rezension

Ersteindruck
Das erste, was bei Agricola auffällt ist, dass die Verpackung sehr schwer ist und wenn man diese geöffnet hat, weiss man auch warum. Die Menge an Spielmaterial ist wirklich beeindruckend. 9 doppelseitig bedruckte Spielpläne, über 350 Karten, mehr als 200 Spielmarker und -materialien aus Holz sowie diverse Pappmarker und ein Wertungsblock. Soviel Spielmaterial legt nahe, warum Agricola bei der Wahl zum Spiel des Jahres den Preis "Komplexestes Spiel" erhalten hat. Doch dazu später mehr. Sämtliches Spielmaterial ist von sehr guter Qulität - die Spielfelder sind schön stabil, die Marker auf dicker Pappe gedruckt, die Karten griffig und einfallsreich gestaltet und das viele Holzmaterial trägt ebenfalls einen großen Teil zum guten Ersteindruck bei. Einziges Manko ist in meinen Augen, dass alle Spielmaterialien wild in der Packung umherfliegen - ein Ablagesystem fehlt leider. Zumindest liegt ein großer Stapel Klarsichttüten bei, die zumindest einige Ordnung in die Mengen an Spielmaterial bringen. Agricola kostet mit ca. 40 Euro etwas mehr als das Durchschnittsspiel, bietet aber auch einen überaus hohen Gegenwert.

Die Anleitung wirkt mit 16 DinA4-Seiten auf den ersten Blick etwas einschüchternd zumal die letzten 5 Seiten eine sehr klein gedruckte Textwüste sind. In der Anleitung liegt auch ein kleiner Schwachpunkt des Spiels - vor dem ersten Spiel ist man schlicht überfordert und die Anleitung trägt durch eine in meinen Augen nicht klar ersichtliche Struktur dazu ertwas bei. Aber ich kann Entwarnung geben: Nach dem ersten Spiel wirkt alles nur noch halb so schlimm.

Thema & Ziel des Spiels
Dass das Leben auf dem Bauernhof auch in der heutigen Zeit kein Zuckerschlecken ist, dürfte bekannt sein. Doch zur Zeit der Pest ging es auf vielen Höfen ums reine Überleben. Diese grausame Epoche liegt zum Glück bereits hinter den "Akteuren" von Agricola, doch auch im Jahr 1670 verlangt das Landleben noch einiges an Arbeit. Und genau diese Arbeit (oder besser: diese Entscheidungen) obliegen den Spielern, deren Aufgabe es ist über 14 Spielrunden den Hof möglichst effektiv zu bewirtschaften. Nur wer in allen Bereichen (Hausbau, Ackerbau, Viehzucht) einigermaßen über die Runden kommt und möglichst viele Punkte kassiert, gewinnt das Spiel.

Spiel-Vorbereitungen

Siehe hierzu auch unsere Schritt-Für-Schritt-Anleitung!

(In dieser Rezension wird lediglich das Familienspiel beschrieben)
Jeder Spieler erhält einen Bauernhof-Plan, sowie die Holz-Spielmaterialien in seiner Farbe. Weiterhin bekommt jeder Spieler 2 Holzhaus-Marker, die er auf die 2 Bauplätzes seines Spielfeldes legt sowie eine Wertungs-Übersichtskarte. Auf die Holzhäuser legt jeder Spieler einen seiner (runden) Personenmarker.

Die 3 (passenden) Aktionsfeld-Pläne werden in die Tischmitte gelegt und ggf. mit den (je nach Spielerzahl oder Spielversion) korrekten Aktionskarten bestückt. Der Ablageplan der großen Anschaffungen wird ebenfalls in Reichweite aller Spieler bereitgelegt und mit den Anschaffungskarten belegt. Die Rundenkarten werden nach der römischen Ziffe sortiert, getrennt gemischt und die oberste Karte auf das Aktionsfeld "Runde 1" gelegt. Der Startspieler erhält den Startspielerstein sowie 2 Nährwertmarker. Alle anderen Spieler erhalten 3 Nährwertmarker. Die restlichen Spielmaterialien kommen griffbereit in Reichweite.

Spielablauf

Siehe hierzu auch unsere Schritt-Für-Schritt-Anleitung!

Das Spiel verläuft über 14 Spielrunden. Nach 4, 7, 9, 11, 13 und 14 Runden folgt eine Erntezeit und nach der Erntezeit der 14. Runde endet das Spiel mit einer Schlusswertung.

Eine Spielrunde besteht aus folgenden Aktionen:
  • Es wird die oberste Rundenkarte aufgedeckt und auf das Aktionsfeld mit der passenden Runden-Nummer gelegt.
  • Viele Aktionskarten oder -felder haben einen roten Pfeil. Diese Aktionen werden nun mit den abgedruckten Rohstoffen aufgefüllt.
  • Jeder Spieler führt reihum eine Aktion durch, indem er einen seiner Personensteine aus dem Haus auf ein Aktionsfeld oder eine Aktionskarte legt. Danach wird diese Aktion durchgeführt. Hat kein Spieler mehr Personensteine, um Aktionen durchzuführen, endet diese Spielrunde.
  • Die Spieler legen ihre ausgespielten Personensteine wieder zurück in ihre Häuser.

Auch bei einer Erntezeit gibt es 3 Phasen:
  • Jeder Spieler nimmt sich von jedem seiner Ackerfelder (falls möglich) einen Rohstoffstein (Getreide oder Gemüse) und legt diesen in seinen Vorrat.
  • Jeder Spieler muss für jedes Familienmitglied 2 Nährwerte abgeben (1 NW für Personen, die erst in der aktuellen Runde ins Spiel gekommen sind). Für jeden fehlenden Nährwert erhält der Spieler eine Bettler-Karte, die am Spielende Minuspunkte bringt.
  • Für jede Tierart, von der ein Spieler mindestens 2 Exemplare besitzt, erhält dieser ein weiteres Tier dieser Gattung.

Das Spiel endet nach der Erntezeit der 14. Runde. Nun zählen alle Spieler ihre Punkte zusammen. Der Spieler mit der höchsten Punktzahl gewinnt.

Da die verschiedenen Aktionen und die Abhängigkeiten zu komplex sind, um sie hier zu beschreiben, haben wir eine Schritt-Für-Schritt-Anleitung angefertigt, die diese Phase des Spiels besser (mit vielen Bildern) beschreiben kann, als jeder Text. Den Link zu dieser Anleitung findet ihr am Anfang des Textes zum Spielablauf oder zum Spielaufbau.

Fazit
Agricola hatte es schwer bei mir. Von Lob überhäuft, auf Spiele-Check seit Monaten auf Platz 1 der User-Wertung und mittlerweile auch mit diversen offiziellen Auszeichnungen bedacht lag die Erwartungshaltung vor dem ersten Spiel erwartungsgemäß sehr hoch. Ich will nicht zuviel verraten, aber Agricola konnte diese Erwartung problemlos erfüllen.

Vor dem ersten Spiel steht die Anleitung und diese ist der einzige echte Kritikpunkt, der mir zu Agricola einfällt. Die allermeisten Spieler werden mit der Familienversion ins Spiel einsteigen und die Anleitung vermittelt den Eindruck, dass man auch nur die ersten 3 Seiten der Anleitung zum Spielen lesen muss. Ein Tipp von mir: Viele Hilfestellungen sind erst in der Anleitung zum kompletten Spiel enthalten - diese also auf jeden Fall durchlesen! Ein weiteres Hindernis ist, dass die Spielmaterialien nicht ausreichend vorgestellt werden. Welche Spielpläne (immerhin gibt es 18 Spielplanseiten) werden benötigt und was unterscheidet z. B. die ganzen Hofpläne voneinander. Das Schlimme an diesem Durcheinandern, das zumindest bei mir vor dem ersten Spiel ausbrach, ist, dass Agricola eigentlich ein sehr einfaches Spiel (was die Regeln betrifft) ist - alles könnte so einfach sein. Aber wie bereits erwähnt: Wer das erste Spiel hinter sich gebracht hat, sollte keine Probleme mehr mit dem Spielmaterial haben.

Doch nun zum eigentlichen Spiel. Ich bin wirklich begeistert wie viel Spielspaß in Agricola steckt. Es ist eines der wenigen Spiele, die man tatsächlich problemlos alleine spielen kann, ohne dass auch nur ein Funken Langeweile aufkommt. Die eigentlichen Regeln von Agricola sind einfach und neuen Spielern schnell erzählt: Mit den Figuren führt man Aktionen aus, um in den Bereichen Viehzucht, Ackerbau und Familie/Hausbau voran zu kommen. In jeder Runde kommt eine neue Aktion hinzu und alle paar Runden muss man seine Familie in der Erntezeit ernähren. Wer am Ende die meisten Punkte aus allen Bereichen sammeln kann, der gewinnt das Spiel. So weit, so einfach. Doch was Agricola wirklich ausmacht ist die strategische Tiefe, die hinter diesen einfachen Regeln steckt. Jede Aktion die man auswählt (und davon hat man nie genug) hat gravierende Auswirkungen auf den eigenen Fortschritt und den Fortschritt der Mitspieler, da die Aktionen begrenzt sind. Da jedes Spiel etwas anders verlaufen wird (vorallem im kompletten Spiel, wenn Ausbildung und kleine Anschaffungen dazu kommen), steht man jedes Mal vor neuen Entscheidungen und der Weg zum Sieg verläuft anders. Mal gewinnt der Spieler, der sich in allen Bereichen ausgeglichen entwickelt und mal gewinnt ein Spieler, der viele Anschaffungen getätigt hat. Um zu gewinnen muss man aber eines immer bedenken: Was bringt mir Punkte? Diese wichtige Frage kann man bei Agricola immer auf mehrere Arten lösen. Die eigenen Stärken ausbauen und die Schwächen minimieren - ein guter Leitsatz für ein Agricola-Spiel.

Agricola ist ein Spiel, das seine Zeit benötigt - während des ersten Spiels ist man überfordert, an dessen Ende aber "heiß" darauf, es besser zu machen, denn von Spiel zu Spiel erlangt man immer mehr Erfahrungen über die Spielmechanik und die Abhängigkeiten - ein essentieller Bestandteil eines erfolgreichen Agricola-Spielers. Da der Glücksfaktor beim Spiel sehr gering ist (lediglich die kleinen Anschaffungen und die Ausbildungen beim kompletten Spiel bringen etwas Glück ins Spiel) ist es wichtig voraus zu planen: Wann bin ich an der Reihe? Welche Aktionen können dann noch frei sein? Wann ist die nächste Erntezeit? Habe ich genug Nahrung? Fragen über Fragen, die sich jedem Spieler stellen werden. Obwohl schon die Familienversion viel Spaß macht, sollte man recht schnell (nach 1,2 Partien) auf die komplette Spielversion umsteigen - diese legt in Sachen Planung nochmal einen Batzen drauf. Insgesamt ist dier Wiederspielwert von Agricola wahnsinnig hoch - man kauft quasi 5 Spiele in einem: Solospiel, Familienspiel und die komplette Version in 3 Schwierigkeitsstufen bieten Spaß für viele viele Spielabende.

Insgesamt ist Agricola sehr ausgeglichen und abgestimmt - es gibt immer mehrere Möglichkeiten voran zu kommen. Wenn man einmal in Bedrängnis kommt, hat man entweder selbst wichtige Entscheidungen verschlafen oder die Mitspieler haben diese geschickt verbaut. Lediglich beim kompletten Spiel kann man durch die Anfangsverteilung der Karten teilweise etwas Pech oder Glück haben - mit wirklich gravierenden Nachteilen, die ein Spiel "sinnlos" machten, hatte aber keiner unserer Spieler zu kämpfen. Aus jeder Kartenkombination konnte noch etwas sinnvolles und erfolgreiches entwickelt werden.

Kurzum: Agricola steht im ganz oberen Bereich meiner Liste toller Spiele. Wer nur einen Funken Interesse an strategischen Spielen hat, der sollte Agricola unbedingt probespielen oder gleich kaufen. Verkehrt machen, kann man bei diesem Highlight ohnehin (fast) nichts.



14. Oktober 2007 - (tp)

Rezensionsbilder