Rezension von Villagers


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise vom Verlag KOSMOS bereitgestellt wurde.)

Rezension

Villagers. Bau dir dein Dorf
Unsere Dörfer benötigen dringend Fachkräfte. Wir versuchen diese in unser Dorf zu locken und dabei möglichst sich ergänzende Berufe miteinander zu kombinieren, so dass Produktionsketten entstehen. Je längere Ketten und Kombinationen sich ergeben, desto höher wird die Wertschöpfung sein und desto mehr Geld werden uns unsere neuen Dorfkräfte einbringen.

Spielablauf
Vor uns in der Tischmitte liegen zwei Reihen von Karten und Kartenstapeln. Die einzelnen Karten in der unteren Reihe sind aufgedeckt, darüber liegen verdeckte Kartenstapel. Zusätzlich liegen drei Arten von sogenannten Start-Personen bereit. Wir starten mit fünf Handkarten in die Partie. Das Spiel verläuft über mehrere Runden. Jede Runde besteht aus einer sogenannten Draftphase und einer anschließenden Bauphase. In der Draftphase dürfen wir unsere Kartenhand mit weiteren Karten aus der Auslage der offenen und verdeckten Karten auffüllen. Die Anzahl wird dabei von den ausliegenden Karten in unserem Dorf bestimmt. In der sich anschließenden Bauphase dürfen wir dann Karten aus der Hand in unser Dorf ausspielen. Auch hier wird die Anzahl der möglichen Karten von den ausliegenden Karten in unserem Dorf bestimmt. Die Karten bestehen alle aus verschiedenen Personen mit unterschiedlichen Berufen. Einige können wir einzeln in uns Dorf legen, für andere wiederum braucht es vorherige Start-Personen oder andere Karten. Die Voraussetzung für den Tischler ist bspw. der Holzfäller. Logisch! Auf diese Weise entstehen Produktionsketten von Berufen. Je länger die Kette wird, desto mehr Geld, Punkte oder andere Vorteile erwarten uns von einer Karte. Einige Karten verschaffen uns darüber hinaus weitere Fähigkeiten, die wir nutzen können. Zu bestimmten Zeiten finden im Spiel zwei Markttage statt. Dann werten wir unsere ausliegenden Karten und erhalten Geld. Mit dem zweiten Markttag endet auch gleichzeitig das Spiel. Es gewinnt, wer mit seinen Dorfbewohnern am meisten Geld erwirtschaften konnte. Mehrere beiliegende Kartenmodule können in weiteren Spielpartien hinzugenommen werden.

Gesamteindruck
Wenn ich Spiele gut finde, sie aber eine ganz gehörige Anzahl an Mängeln aufweisen, dann schreibe ich meist irgendwann das „aber“-Wort und kritisiere das Kritisierenswerte. Zurück bleibt dann meist ein Spiel, welches ich aufgrund der Mängel nicht empfehle. Bei Villagers möchte ich das mal andersherum machen, denn Villagers weist einen Mangel bis an den Rand des Unzumutbaren auf, empfehlen möchte ich es aber trotzdem.

Der große Mangel ist die Anleitung. Es ist wohl kaum möglich, das Spiel fehlerfrei zu spielen, wenn wir ausschließlich auf die beiliegende Anleitung angewiesen sind. In meinen ersten drei Partien gab es immer wieder Regelunklarheiten (auch grundlegendster Art), auf die wir in der Anleitung keine Antworten fanden, auch wenn wir sie wieder und wieder durchgegangen sind. Ohne eine korrekte Erklärung einer Person, die den Spielregeln mächtig ist, wird es Frust und große Fragezeichen geben. Dort, wo die Anleitung auf den ersten Blick Regeln gut mit Beispielen bebildert, stiften diese auf den zweiten Blick mehr Verwirrung als Erklärung. Die Texte daneben sind schlecht strukturiert, umständlich und doppeldeutig formuliert.

Hat man die enorme Hürde mit der Anleitung gemeistert, breitet sich dann jedoch ein schönes Spiel für zwischendurch vor uns aus, bei dem wir abwägen, ein bisschen pokern und unsere Mitspieler einschätzen müssen. Welche Produktionsketten lohnen sich für mich? Wie gelange ich an die dafür benötigten Karten? Kommen die noch oder hat die einer der Mitspieler? Wie erhöhe ich meine Fähigkeit, mehr Personen auf die Hand zu nehmen, aber auch gleichzeitig meine Fähigkeit, mehr Häuser für die neuen Personen in meinem Dorf bereit zu halten? Villagers lädt uns zum Ausprobieren ein, was alles und mit welchen Kombinationen mit den Personenkarten möglich ist. Die einen Personen garantieren uns Einnahmen von den Mitspielern. Die anderen eine lange Produktionskette, um ihre punkteträchtige Stärke voll entfalten zu können. Wieder andere besitzen bestimmte Fähigkeiten oder generieren über andere Personenkarten Punkte. Sinnvoll ist meist wie immer: Einer Strategie konsequent folgenden und alles davon Abweichende trotzdem mitnehmen, wenn es sich anbietet und lohnt. Das eine zu erkennen und das andere abzuwägen macht den Reiz von Villagers aus. Klar sollte sein: Villagers ist nicht hochkomplex und treibt die Spielmechanik nicht auf die Spitze. Das ist gut so, denn das gibt es an anderer Stelle mit demselben Thema schon zur Genüge. Nach einer Partie, die ca. 30-40 Minuten dauert, schlägt man daher gerne gleich noch eine Revanche vor.

Die Karten-Module sind nicht der Rede wert. Weder verändern sie groß das Spiel, noch verschaffen sie uns neue Möglichkeiten. Hat man sie einmal durchprobiert, lässt man sie in Zukunft wieder weg, weil man durch sie nur noch auf mehr Dinge achten muss, aber kein wirklicher Mehrwert für das Spiel dabei entsteht. Reizvoll wären für mich daher nicht weitere kleine Mini-Module, die die bestehenden Personenkarten in der grundlegenden Spielmechanik erweitern, sondern weitere Personenkarten, die die Produktionsketten noch vielfältiger und variabel machen. Hoffentlich kommt da noch etwas nach, denn fast ein wenig zu schnell erschöpft sich der Spielspaß an dem zwar nicht geringen, aber doch begrenzten Umfang der vorhandenen Personenkarten.

Jetzt aber noch ein paar Zeilen zur Illustration: Zuerst fand ich Cover und Kartenillustration nicht nur hässlich, ich fand beides superhässlich. Die abgebildeten Personen sahen für mich aus, als wenn sie einem Kinderbuch entsprungen wären, dessen Verlag kein Geld mehr für eine ordentliche Illustration hatte und deshalb der Praktikant dafür herhalten musste. Nun muss ich sagen, dass ich nach etlichen Partien mittlerweile Gefallen an der Kartenillustration gefunden habe. Es ist einfach mal was anderes als die Mittelalter-Einheitsbrei-Illustrationen, die uns die Verlage seit Jahren in Brettspielen vorgesetzen. Wäre ich zwanzig Jahre jünger, dann würde ich das vermutlich als „fresh“ bezeichnen. Als nicht ansprechend empfinde ich tatsächlich nur noch das Schachtel-Cover, welches in der internationalen Kickstarter-Variante einfach besser gelungen ist: ungewöhnlich illustrierte Menschen auf weißem Hintergrund. Das Schachtelcover der deutschen Ausgabe sieht dagegen aus, als wenn anschließend der oben vermutete Praktikant nicht mehr verfügbar war und nun das jugendliche Kind des Verlagschefs ran musste, um die Bilder des Praktikanten zu einer Cover- Szenerie zu drapieren. Klingt drastisch, aber der Gedanke kam mir tatsächlich.

Bemerkenswert ist aber auch noch ein anderer Aspekt der Kartenillustration: In unserem Village können Frauen ohne Probleme auch in klassische Männerberufe einsteigen (Holzfällerin, Bergarbeiterin, Schnitzerin, Flößerin, Radmacherin) und „People of Color“ tummeln sich ebenfalls wie selbstverständlich unter unseren Einwohnenden als Käserin, Erz-Transporteur, Schlosser, Lebensmittelhändler, Bergarbeiterin oder Prophet. Ich habe länger darüber nachgedacht, ob ich das in Ordnung finde. Denn es ist zwar vollkommen richtig, auch in Spielen eine diverse, heterogene Welt mit vielfältigen Lebensentwürfen darzustellen (findet viel zu wenig in Brettspielen statt!), aber es ist Geschichtsrevisionistisch, wenn man deshalb wie das Spiel so tut, als hätte es im europäischen Mittelalter selbstverständlich gleichberechtigte People of Color gegeben oder Frauen hätten alle Berufe ausüben können. Das ist dasselbe Problem, wie wenn in Puerto Rico schwarze Scheiben in die Plantagen in der Karibik verschifft werden und die Anleitung von „Kolonisten“ spricht. Nein, das waren keine „Kolonisten“, sondern Sklaven. Und nein, das Mittelalter war kein gleichberechtigtes Schlaraffenland, sondern in dieser Hinsicht finstere Zeiten, die man nicht beschönigen sollte. Ich war fast so weit, dass ich die Darstellung in Villagers in Ordnung fand. Denn durch die Art der Illustration ist Villagers eher irgendwo jenseits von Zeit und Raum angesiedelt, als das es historisch lokalisiert werden könnte. Das sieht zwar etwas nach europäischem Mittelalter aus, könnte aber genauso gut in Japan nach dem 3. Weltkrieg spielen (und dann würden die Berge im Hintergrund auf dem Cover, die eher nach einem japanischen Motiv aussehen, gleich auch Sinn ergeben). Ich hatte in meinen Rezensionstext deshalb sogar schon etwas von „Mut“ und „Glückwunsch“ und dergleichen geschrieben. Doch dann schaute ich zur Sicherheit doch noch einmal in die Anleitung. Und dort steht es dann doch: Villagers soll im Mittelalter spielen, nach einer Katastrophe. Da es dort nun so steht, muss ich leider das bekannt Sprichwort herauskramen, nach dem das Gegenteil von gut, gut gemeint ist. Dann lieber gleich das Dorf nicht im Mittelalter sondern als utopische Dorfkommune in der Neuzeit ansiedeln (verkauft sich nicht so gut? Dann sich etwas anderes überlegen!).

Fazit
Villagers ist ein schönes Spiel um Produktionsketten für zwischendurch, bei dem wir immer wieder Abwägungen und Entscheidungen treffen müssen, um die Arbeitskräfte in unserem Dorf gut auf einander abzustimmen. Ärgerlich ist die absolut ungenügende Spielanleitung und die zwar gut gemeinte, aber nicht zu Ende gedachte Illustration der Spielkarten. Beides kann aber verschmerzt werden und sollte einer Kaufentscheidung nicht im Wege stehen.

08. September 2020 - (Jan Drewitz)

Rezensionsbilder