Rezension von Descent - Die Reise ins Dunkel


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise vom Heidelberger Spieleverlag bereitgestellt wurde.)

Rezension

Ersteindruck
Descent, die 2. Edition. Als Descent-Fan der ersten Stunde musste ich natürlich wissen, wie sich die 2. Edition spielt. Die erste Neuerung ist bereits bei Vergleich der Spieleschachteln offensichtlich: die Schachtel der neuen Version ist nur noch halb so groß. Und auch das Spielmaterial hat sich im Vergleich zur ersten Edition deutlich verändert, ist aber nachwievor als "Descent" erkennbar. Die Optik des Spiels wirkt etwas "frischer" und aufgeräumter. Lediglich das altbekannte Problem der Ordnung ist wie bei (fast) allen "Fantasy Flight Games"-Umsetzungen ungelöst. Keine Zippertüten, kein Tiefziehteil - alles fliegt wild in der Packung umher. Dies ist bei Spielen mit wenig Spielmaterial noch zu verkraften, bei der hier vorliegenden Menge an Markern, Karten und Miniaturen aber echt kontraproduktiv.

Da auch die Regeln (merklich) überarbeitet wurden, strahlt auch die Anleitung in frischen Glanz. Nebenher ist auch das unhandliche große Quadratformat einem geeigneteren A4-Format gewichen - auch für das Questhandbuch.

Thema & Ziel des Spiels
Descent ist ein klassischer "Dungeoncrawl": Eine Gruppe von Helden betritt einen Dungeon und versucht eine Aufgabe zu lösen, was in diesem Fall vom "Overlord" (= einem der Spieler) verhindert werden soll (semi-kooperativ). Dabei sammeln die Helden Schätze, erkunden den Dungeon, besiegen Monster und werden stärker, um die finale Herausforderung des Overlords zu bezwingen.

Spiel-Vorbereitungen
Die Spieler einigen sich auf ein Abenteuer (oder das Kampagnenspiel) sowie auf die Rollenverteilung Helden <-> Overlord.

Die Helden-Spieler wählen jeweils ihren Charakter sowie eine von zwei möglichen Klassen. Im regulären Spiel erhalten sie dadurch je eine Fähigkeit, die Startausrüstung, Heldenmarker sowie Miniaturen.

Der Overlord erhält im regulären Spiel sein Starterdeck aus Overlordkarten – davon nimmt er der Spielerzahl entsprechend Karten auf die Hand.

Das Dungeon wird entsprechend der Vorgaben aus dem Quest-Handbuch aufgebaut – das benötigte Spielmaterial bereit gelegt. Die Questbeschreibung gibt an, wo Monster und Helden starten.

Spielablauf
Aufgrund der Regelmenge wird beim Spielablauf nur eine vereinfachte Beschreibung gegeben.
Hier findet Ihr eine Auflistung der Unterschiede zwischen den Versionen

Das Spiel verläuft abwechselnd zwischen den Helden und dem Overlord, wobei erst alle Helden (in beliebiger Reihenfolge) ihren Spielzug durchführen, bevor der Overlord an der Reihe ist.

Jeder Held führt in seinem Zug folgende Schritte aus:
  • "Beginn des Zuges": Der Held kann nun bestimmte Fertigkeiten ausführen. Weiterhin verlieren Effekte, die bis zum Beginn des nächsten Zuges dauern, nun ihre Wirkung. Alle erschöpften Karten werden spielbereit gemacht.
  • "Ausrüsten": Der Held legt nun seine Ausrüstung fest, da er lediglich Ausrüstung "im Wert von" 2 Handsymbolen, einem Rüstungssymbol und 2 sonstigen Gegenständen pro Spielzug benutzen darf.
  • "Aktionen": Der Heldenspieler kann nun 2 beliebige (auch gleiche) der folgenden Aktionen durchführen: Bewegen, Angreifen, eine Fertigkeit einsetzen, Ausruhen, Suchen, Aufrappeln, einem anderen Helden aufhelfen, Tür öffnen/schließen, Spezialfertigkeit.
  • "Aktivierungskarte umdrehen": Dies zeigt an, dass der Held seinen Spielzug durchgeführt hat.

Haben alle Helden ihren Zug beendet, führt der Overlord die folgenden Schritte aus:
  • "Beginn des Zuges": Der Overlord erhält eine neue Overlordkarte kann nun beliebig viele Overlordkarten ausspielen. Weiterhin verlieren Effekte, die bis zum Beginn des nächsten Zuges dauern, nun ihre Wirkung. Alle erschöpften Karten werden spielbereit gemacht.
  • "Monster aktivieren": Der Overlord "aktiviert" nun nacheinander jedes Monster. Dabei müssen zunächst Monster des gleichen Typs abgehandelt werden, bevor der nächste Monstertyp aktiviert werden kann. Bei der Aktivierung kann der Overlord nun pro Monster 2 beliebige (auch gleiche) der folgenden Aktionen durchführen: Bewegen, Angreifen (maximal 1x pro Monster), eine Monsteraktion einsetzen, Tür öffnen/schließen, Spezialfertigkeit.
  • "Rundenende": Die Heldenspieler drehen ihre Aktivierungskarten auf die Vorderseite und eine neue Runde beginnt für die Heldenspieler.

Das Abenteuer endet, wenn die in der Questbeschreibung angegebenen Vorgaben erfüllt sind.

Einen Großteil des Abenteuers werden die Helden und die Monster gegeneinander kämpfen, was in folgenden Schritten abgehandelt wird:
  • Der angreifende Spieler nennt das Angriffsziel sowie die (ausgerüstete) Waffe, mit der der Angriff durchgeführt werden soll. Dazu müssen beide Figuren Sichtlinie zueinander besitzen.
  • Die Waffe sowie die Fertigkeiten bestimmen jeweils die Angriffs- bzw. Verteidigungswürfel, die beide Spieler werfen.
  • Wird ein Fernkampfangriff durchgeführt, muss zunächst geprüft werden, ob genug "Reichweite" gewürfelt wurde.
  • Gewürfelte Blitz-Symbole können die Spieler in Spezial-Fertigkeiten einsetzen
  • Nachdem alle Modifikationen angewandt wurden, erleidet die angegriffene Figur dir Differenz an "Angriff" minus "Verteidigung" an Schaden.

Im Gegensatz zur 1. Edition sterben Helden nicht – sie werden lediglich "niedergestreckt" und müssen sich im nächsten Zug erst wieder "aufrappeln" bzw. von anderen Helden "aufgeholfen" werden.

Fazit
Als großer Descent-Fan der ersten Stunde freute ich mich riesig über die 2. Edition. Nach unzähligen Partien der ersten Edition kristalisierten sich damals einige Unschönheiten heraus, die ich natürlich gerne korrigiert hätte: Nach den ersten Erweiterungen bestand das Spielmaterial aus so vielen Markern, Karten & Miniaturen, dass selbst große Spieltische an ihre Grenzen stießen - dies führte auch zu extrem langen Auf- und Abbauzeiten. Letztendlich war die Spielbalance durch die Vielfalt an Möglichkeiten teilweise leicht unausgewogen und die Abenteuer zu gleichförmig. Würde diese Kritikpunkte in der neuen Version behoben sein?

Der Begriff "2. Edition" klingt relativ harmlos. Kenner der 1. Edition werden nach dem Regelstudium feststellen, dass einerseits (fast) kein Regelstein auf dem anderen, andererseits das Spielgefühl von Descent aber durchaus vorhanden geblieben ist. Der eigentliche Spielablauf des Kampfs zwischen Overlord und Helden ist nachwievor Hauptbestandteil des Spiels. Die Helden führen zunächst ihre Aktionen durch, dann der Overlord - während dieser Spielzüge läuft aber einiges anders ab. Da ich im Fazit nicht auf alle Unterschiede eingehen kann, beschränke ich mich auf die wichtigsten:
  • Die Menge des Spielmaterials wurde deutlich(!) reduziert: Es gibt nur noch halb so viele Monster und unterschiedliche Helden, die Menge an Markern schrumpfte von ca. 350 auf 150, lediglich die Anzahl der Karten ist leicht gestiegen, wobei die Anzahl an Kartentypen gleichgeblieben ist. Und all das, obwohl in der zweiten Edition bereits die Kampagnenregeln samt dafür benötigtem Spielmaterial enthalten sind! Wer nun meint, dass nun deutlich weniger Descent in der Verpackung findet, hat einerseits recht (quantitativ), andererseits führt diese "Bereinigung" dazu, dass das Spiel nun deutlich konsistenter und geradliniger funktioniert - sowohl bei den Vorbereitungen als auch im eigentlichen Spiel. Die Reduzierungen sind m.E. sinnvoll umgesetzt und hinterlassen keinen faden Beigeschmack.
  • Quests und Balancing Während es in der ersten Edition für die Helden "nur" darum ging, Runenschlüssel & Questmarker zu sammeln und zu überleben, bzw. für den Overlord den Helden ihre Questmarker abzunehmen, besitzen die Quests nun sämtlich eine eigenständige Geschichten und immer neue Spielziele für Helden und Overlord. Natürlich habe die Quests nicht die Qualität wie Rollenspielabenteuer - eine inhaltliche Steigerung um 100% ist es aber allemal - auch die immer anderen Ziele sorgen für Abwechslung. Auch das Balancing zwischen Helden und Overlord ist nun deutlich besser gelungen. Dadurch, dass die Helden und der Overlord mit einem "Startdeck" beginnen, sind die Partien deutlich ausgewogener. Allerdings kann bei einer solchen Bandbreite an Kombinationsmöglichkeiten und Questzielen nicht jede Heldenkombo 100% ausgewogen sein.
  • Die Vielfalt an Aktionsmöglichkeiten wurde grundsätzlich beibehalten, durch die Einführung von Startdecks und Begrenzungen (z.B. der Monsterzahl & -art, die der Overlord neu erschaffen kann) aber sinnvoll verringert bzw. ergänzt.
  • Der Kampf und Spielablauf wurde grundsätzlich beibehalten, wobei es auch hier Änderungen hinsichtlich Kampfarten (Zauberkampf gibt es nicht mehr), Sichtlinie (die Bestimmung wurde vereinfacht) und Kampfausgang (Helden sind nicht mehr besiegt, sondern nur niedergeschlagen) gab.

Nun kann man all diese Änderungen von zwei Seiten aus sehen. Einige werden sagen, dass diese Vereinfachungen das Spiel banalisieren und Komplexität herausnehmen. Andere werden entgegnen, dass das Spiel nun deutlich schneller, ausgewogener und nachvollziehbarer gespielt werden kann. Beide haben recht, wobei ich mich mehr auf die letztere Seite schlagen würde. Ja, es gibt nun etwas weniger Vielfalt, aber deutlich bessere Spielverläufe. Die Quests sind merklich interessanter und haben (gegenüber der ersten Edition) nun auch einen hohen Wiederspielreiz. Nahezu sämtliche Änderungen sind nachvollziehbar (und nicht willkürlich) und dienen nur dem Ziel das Spiel zu beschleunigen aber natürlich auch etwas zu vereinfachen. Etwas merkwürdig wirkt in der neuen Edition lediglich die Bestimmung der Sichtlinie, die zu einigen unerwarteten Ergebnissen führen kann.

Im Gegenzug zur 1. Edition ist in der Neuauflage auch gleich das Kampagnenspiel mit enthalten, dass zwar an die "Wege zum Ruhm"-Erweiterung angelehnt ist, aber mit der gleichen Konsequenz bearbeitet wurde, wie das Grundspiel. Auch hier gilt: weniger ist mehr. Die Kampagne ist abwechslungsreich, recht gut ausbalanciert und "schnell" (20 Stunden) spielbar. Positiv ist, dass Gewinn oder Verlust in einem Abenteuer Auswirkung auf darauffolgende Abenteuer haben können.

Nun die zwei entscheidenden Fragen: "Lohnt sich die zweite Edition für Neueinsteiger?" und "Lohnt sich die zweite Edition für Kenner der ersten Edition?". In meinen Augen muss man beide Fragen mit einem "Ja" beantworten. Wer die erste Edition nicht kennt, erhält mit der Neuauflage eines der - in meinen Augen - aktuell besten Dungeoncrawl-Spiele mit Tiefgang und Spielspaß für viele Spieleabende. Das Spielmaterial (Miniaturen, Illustrationen) ist von hoher Qualität - lediglich die Aufbewahrung ist wieder mehr als chaotisch. Mir ist klar, dass man bei dieser Menge an Material kein Tiefziehteil produzieren kann, aber eine gewisse Anzahl an Zippertüten zur Aufbewahrung hätte bei diesem Preis (aktuell ca. 55 Euro) drin sein müssen - nicht zuletzt deswegen, weil der neue Verkaufspreis nicht viel unter dem (damaligen) alten Preis (ca. 70 Euro) liegt - bei deutlich weniger Spielmaterial. Und noch ein Kritikpunkt: Warum werden die mächtigsten Kreaturen im Spiel (die Hauptleute) nur durch simple Pappmarker repräsentiert? Hier wären auf jeden Fall eigene Miniaturen angebracht gewesen!

Auch Kenner der ersten Edition dürften mit der Neuauflage zufrieden sein - einziger Wermutstropfen ist, dass sämtliches Spielmaterial der ersten Edition (samt Erweiterungen) nicht oder nur teilweise in der Neuauflage verwendbar ist; dann auch nur durch den Kauf eines Upgrade-Kits. Wem die Erstauflage auch nach vielen Spielstunden noch uneingeschränkt Spaß macht und wen meine (leisen) Kritikpunkte an der Erstauflage nicht stören, der muss nicht zwingend umsteigen. Es wird zwar keine neuen Erweiterungen für die alte Edition geben, aber es ist nachwievor ein tolles Spiel mit Spieltiefe. Auch Spieler, denen es nicht komplex genug sein kann, könnten mit der Neuauflage ein paar Probleme bekommen. Nicht, dass die Neuauflage simpel oder stumpfsinnig ist, aber sie wurde doch deutlich vereinfacht - in meinen Augen aber ohne, dass die Spieltiefe, die Abwechslung und der Spielspaß leidet. Im Gegenteil! Alle Fans des Spiels, die (so wie ich) irgendwann aufgehört haben, die Unmengen an Spielmaterial aufzubauen und zu bespielen, dürften mit der Neuauflage einen Grund finden, wieder Spaß an diesem tollen Spiel zu erlangen. Der "Arbeitsaufwand" die Erstauflage zu spielen, wurde mir irgendwann zu hoch - nun steht wieder Spielspaß und keine "Arbeit" im Mittelpunkt - was will man mehr von einer Neuauflage. Alle Kritiker der ersten Edition sollten auch mal eine Probepartie wagen - es hat sich viel geändert! Descent ist trotz aller Änderungen kein Spiel für die ganze Durchschnittsfamilie - aber dank aller Änderungen endlich wieder auf einem Durchschnittstisch spielbar ;-)

07. Februar 2013 - (tp)

Rezensionsbilder