Rezension von Aqua Sphere


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise vom Pegasus Verlag bereitgestellt wurde.)

Rezension

Aqua Sphere
Nachdem wir zu unserem allergrößten Vergnügen Stefan Felds Arbeitslager auf Bora Bora besucht haben, gelüstet es uns nun doch wieder nach dem regelmäßigen, täglichen Broterwerb. Zum Glück ist unser Arbeitsplatz nicht weit entfernt. Auf der Tiefseestation Aqua Sphere scheint aber unsere Urlaubsvertretung nicht angekommen zu sein, denn nur eines ist hier ebenfalls ganz eindeutig keine Mangelware: Arbeit.

Thema & Ziel des Spiels
Über die vielen täglichen Unwägbarkeiten, die die Arbeit auf einer Tiefseestation naturgemäß so mit sich bringt, versuchen wir vor allem über die gezielte Programmierung von Robotern oder der Anwendung dieser Programmierung Punkte und Mehrheiten zu ergattern. Dafür braucht es neben dem vorausschauenden Informatikerhändchen vor allem Entscheidungsfreudigkeit, Lust zum Wagnis und permanente Aufmerksamkeit.

Spielablauf
Hat man den Spielablauf der einzelnen vier Runden in einer ersten Partie erst einmal verinnerlicht, so ist dieser eigentlich gar nicht so schwer: In jedem Spielzug haben wir entweder die Möglichkeit, einen unserer R2D2s Bots zu programmieren oder einen zuvor programmierten Bot in einer Sektion der Tiefseestation einzusetzen und mit ihm eine Aktion auszuführen. Dies geht so lange reihum, bis alle gepasst haben und sich eine Zwischenwertungsrunde anschließt, in der der Einsatz von Bots und U-Booten, Mehrheiten von Bots in Kontrollfeldern, Kristallbesitz und eingedrungene Oktopoden (Nein, es heißt nicht Oktopusse oder Oktopussies!) in unsere Stationssektoren mit Punkten bewertet werden. Wie in der Realität ist so eine Bot-Programmierung aber gar nicht so einfach. Programmiert wird in der Zentrale der Station, neben der Forschungsstation ein extra Spielplan, auf dem auch die Punkteskala und die sich immer ändernde Spielerreihenfolge vermerkt werden. Unser Ingenieur begibt sich nun in der Zentrale auf eine Art "Programmier-Parcours", welcher, je nachdem welche Richtung man eingeschlagen hat, vorgibt, welche Bot-Programmierung mir in den kommenden Spielzügen noch zur Verfügung steht. Die Anordnung der Programmierarten auf dem Parcours wechselt dabei von Runde zu Runde. Normalerweise führen wir so pro Runde drei Bot-Programmierungen aus. Grundsätzlich existieren folgende Programmierungen und damit auch Aktionsmöglichkeiten, die wir ausführen können, wenn unser Wissenschaftler den Bot in eine der sechs Sektoren der Station einsetzt:

1. Labor erweitern. Unser persönliches Labor zeigt an wie viele Gegenstände wie Kristalle, Forschungskarten und Zeitmarker wir besitzen, und wie viele Oktopoden wir zu Calamares-Ringen verarbeiten dürfen. Das Labor wollen wir ausbauen.
2. Zeitmarker nehmen. Wir erhalten die in der Sektion vorhandenen Zeitmarker, die es unserem Wissenschaftler beispielsweise ermöglicht, in andere Sektionsteile zu gelangen.
3. Kristalle nehmen. Wir erhalten die in der Sektion vorhandenen Kristalle, die wir vor allem benötigen, um die regelmäßig auftauchenden Lichtschranken auf der Punkteleiste zu überqueren.
4. Oktopoden fangen. Dafür erhalten wir Punkte und für oktopodenfreie eigene Sektionen bei der Zwischenwertung auch keine Minuspunkte.
5. U-Boot einsetzen. Für freigespielte U-Boot-Felder erhalten wir in der Zwischenwertung Zeitmarker, außerdem ebenfalls Punkte.
6. Forschungskarten nehmen. Die Karten, die an den Sektionen liegen, bringen uns bei Aktionen und Programmierungen Benefits oder können auf andere Weise helfen: Auch hier erhalten wir zusätzlich Punkte.
7. Bot programmieren. Was, ich dachte der Ingenieur programmiert die Bots auf einem extra Programmier-Parcours? Ja, tut er auch. Und damit belassen wir es einmal an dieser Stelle...

Die für die Aktion eingesetzten Bots spielen uns einerseits Punktefelder für die Zwischenwertung frei, andererseits verdrängen sie durch die Aktion im Kontrollfeld einen anderen Bot und können uns so eine Mehrheit in der Zwischenwertung verschaffen. Nach vier Zwischenwertungen wird in einer abschließenden Endwertung der/die Sieger/in bestimmt, besonders ein qualitativ vollständig ausgebautes Labor kann hier noch einmal ordentlich punkten.

Soweit alles klar? Nicht? Ist auch nicht so schlimm. Wichtig ist, dass hier alles mit allem verzahnt, verknüpft und verbunden ist. Da gibt es nichts, was ohne Auswirkung bleiben könnte.

Gesamteindruck
Eine erste Hürde ist die Regel. Diese ist zwar klar und verständlich geschrieben, trotzdem gehen wir anschließend ziemlich planlos in die erste Partie. Das liegt vor allem an der Verzahnung aller Teilchen dieser Tiefseestation. Vergleichen könnte man dies mit einer mechanischen Uhr: Wenn ich die Position und Eigenschaft aller Dinge in ihrem Inneren erklären würde, dann würde der Zuhörer mit Sicherheit anschließend auch nicht wissen, wie es die Zahnräder schaffen, am Ende die Uhrzeit anzuzeigen. Dies soll ausdrücklich keine Kritik an der Regelgestaltung darstellen, nur einen ersten Hinweis darauf geben, worauf sich der Brettspiel-Vielspieler hier einlässt. Und Vielspieler, also Personen, die mit unterschiedlichen Spielmechanismen vertraut sind, sollten die Mitspielenden schon sein. Ob nun zu zweit, zu dritt oder zu viert, Aqua Sphere funktioniert in allen Konstellationen gleich gut.

Tolle Mechanismen-Verzahnungen kennen wir von Stefan Feld schon. Aqua Sphere treibt dies auf die Spitze: Mit den einzusetzenden Bots und U-Booten wird das kontinuierliche Siegpunkteeinkommen erhöht, die U-Boote sorgen jedoch auch noch für stetigen Geldfluss, der wiederum nötig ist, um von A nach B zu kommen, größere Geldreserven jedoch können nur mit entsprechenden Laborausbauten angelegt werden, die gleichzeitig Gelegenheit bieten, Bots in weitere Sektoren setzen zu können, dafür muss aber ...

Zufallskomponenten bringen das tadellose Uhrwerk ins Trudeln
Vor dem Hintergrund dieses exquisit eingestellten Uhrwerks verwundert die Tatsache, dass dann doch einige wenige, aber folgenreiche Zufallskomponenten vorhanden sind. So werden die Laborausbauten und die Forschungskarten in jeder Runde zufällig gezogen. Gerade unterschiedliche Laborausbauten sind jedoch für die Schlusswertung unverzichtbar. Fehlt mehr als ein Buchstabe, ist man quasi schon raus aus dem Rennen. Da ist es ärgerlich, wenn man so gut wie keine Chance hatte, an das so wichtige Plättchen zu kommen, während andere in der letzten Runde zufälligerweise prompt den benötigten Ausbau vor die Nase bekommen. Dasselbe mit den Forschungskarten: Ihre Effekte sind die Einzigen, die im Spiel so etwas wie eine durchgängige Strategie auslösen können, trotzdem ist es unberechenbar, wann und wo sie in der Partie auftauchen.

Ähnlich Wie bei Stefan Feld-Spielen üblich, kann mit taktischen Überlegungen die Spielerreihenfolge etwas beeinflusst werden,. Leider ist aber kaum abzuschätzen, ob sich ein Startspieler-Dasein in der nächsten Runde nun lohnt oder nicht: Weiter vorne in der Spielerfolge haben wir natürlich den exklusiven Zugriff auf ausliegende Aktionskarten oder Laborausbauten, aber ob davon wirklich das Benötigte oder Gesuchte in der folgenden Runde kommt, wissen wir leider erst … in der kommenden Runde. Da am Ende einer jeden Runde eine Mehrheitenwertung aller sich auf der Station befindlichen Bots stattfindet, die ordentlich Punkte einbringt, kann es sich lohnen weiter hinten oder sogar erst am Ende in der Spielerreihenfolge dran zu sein, um als Letzter die Mehrheiten beeinflussen zu können. Auf diese Weise werden jedoch diejenigen, die ohnehin schon die meisten Aktionen in einer Runde ausführen konnten und dadurch als Letzte passen, zusätzlich belohnt, weil sie in der kommenden Runde schon wieder in der Reihenfolge hinten liegen. Das sind Kleinigkeiten, die unrund sind, aber trotzdem ihre Wirkung entfalten.

Es ist völlig unmöglich, sich vor einer Partie eine bestimmte Strategie zurechtzulegen oder auszutesten. Vielmehr können die Spieler nur zwischen den sich aktuell bietenden Möglichkeiten hin und her navigieren und das Beste aus der Situation machen. Dies provoziert jedoch ganz ungemein dazu, alle Möglichkeiten durchzurechnen – auch wenn oftmals gar nicht so viele sinnvolle davon vorhanden sind, zieht jede aber einen ganzen RattenMarsupilami-Schwanz daraus resultierender Optionen nach sich. Also doch viele Entscheidungsmöglichkeiten? Ja, aber diese werden dann anschließend durch Zufallskomponenten (siehe oben) und die Entscheidungen der anderen Mitspieler (ja, es gibt sogar Menschen, die diesen Faktor dann auch noch versuchen durchzurechnen) determiniert – daran hätte selbst der rechenbegabte Droide Data keinen Spaß: Einerseits muss man durchrechnen, andererseits hat man es dann doch nicht in der Hand...

Unschön ist auch das Handling der Zeitmarker auf dem Spielbrett: In den einzelnen Sektoren liegt jeweils eine verschiedene Anzahl von Zeitmarker aus, meist zwischen 1 und 5 Plättchen. In jedem Fall können dort aber immer zwei Zeitmarker als Grundstock gezogen werden. Heißt also, wenn dort ein Zeitmarker liegt, dann kann man sich zwei nehmen und wenn dort keiner liegt, ebenfalls zwei. Dies Prinzip bringt man sehr schnell durcheinander, auch weil man eben zweimal hingucken muss, um die aktuell verfügbaren Zeitmarker in der Station zu erfassen.

Der Funke des "Tiefsee-Managers" springt nicht über
Obwohl das Tiefseethema von Aqua Sphere relativ unverbraucht und das Spielmaterial passend gestaltet und illustriert ist, vermag der Funke der Tiefsee nicht auf die Spielerunde überzuspringen. Die dominante Mechanikverzahnung trägt dazu bei, dass immer wieder das Gefühl aufkommt, man würde einfach nur die Regeln nachspielen, wie ein Mitspieler einmal treffend bemerkte. Stefan Feld ist dafür bekannt, bei der Konzeption seiner Spiele von der Mechanik auszugehen, Prototypen werden dem gemäß bei ihm in der Entwicklungsphase immer als xy-Manager bezeichnet. Erst später kommt das Thema hinzu. Einerseits erhalten wir so zuverlässig herausfordernde Vielspieler-Spiele, andererseits ist nicht zu leugnen, dass die Thematik öfter etwas aufgesetzt wirkt. Bei anderen Spielen von ihm störte mich dies weniger, bei Aqua Sphere fällt es aber unangenehm auf.

Bei meiner Rezension von Bora Bora sprach ich noch von institutionalisierter Armut. 1000 Meilen unter dem Meeresspiegel hat Stefan Feld die Daumenschrauben aber noch einmal angezogen. Hier fehlt uns nicht nur gefühlt einiges, sondern eigentlich alles. In der Tiefsee herrscht institutionalisierte Armut mit zusätzlichen Beschränkungen. Klingt ein bisschen nach Hartz 4...

Fazit
Aqua Sphere möchte man lieben: wegen der tollen Tiefsee-Thematik, wegen der Oktopoden- und Bot-Pöppel, wegen der Materialausstattung und der Verzahnung. Allein: Man kann es nicht. Die vielen Elemente und Verzahnungen, die ein Vielspielerparadies vorgaukeln, erweisen sich als nicht planbare Potemkinsche Dörfer.



18. Juni 2015 - (Jan Drewitz)

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