Rezension von Carcassonne - Südsee


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise von Hans im Glück bereitgestellt wurde.)

Rezension

Carcassonne Südsee
Carcassonne ist mit den Siedlern von Catan schon längst zu einem modernen Spieleklassiker geworden. Klassiker können für Verlage Fluch und Segen zugleich sein. Einerseits eine konstante Geldquelle, ohne große Werbung zu benötigen ("Kenn ich, kauf ich"), andererseits der fiese Druck im Nacken, ständig neue Varianten, Szenarien und und und auf den Markt werfen zu müssen. Ganz ehrlich, ich möchte nicht bei Hasbro in der Redaktion sitzen müssen und mir die hunderttausendste Monopolyvariante ausdenken müssen, nur um zu wissen, dass das Spiel, wenn überhaupt, schon nach einer Partie in der hinterletzten Ecke des Kinderschrankes landet, wo es jahrelang ein staubiges Dasein fristen wird und es allerspätestens beim Auszug aus der elterlichen Wohnung in der Mülltonne landet. Und auch nicht zu Unrecht wohlgemerkt – zielen doch die meisten Klassiker-Neuauflagen ausschließlich auf den Geldbeutel und nicht auf das Spielvergnügen. Die Carcassonne-Reihe hat schon ganz früh mit Die Jäger und Sammler bewiesen, dass eine kleine Variation auch gerechtfertigt sein kann. Ein Grund mehr, sich das neue Carcassonne näher anzuschauen.

Thema und Ziel des Spieles
Carcassonne mal auf der anderen Seite des Globus: Statt Burgen, Wiesen, Wege und Klöster legen wir nun Inseln, Meer, Stege und kleine Dörfer. Das wirklich Neue: Anstatt einfach Punkte zu erhalten, erhalten wir nach den jeweiligen Wertungen Rohstoffe in Form von Bananen, Fische und Muscheln, die wir dann über Handelsboote eintauschen.

Spielablauf
Reihum ziehen wir ein Südsee-Landschaftsplättchen nach und puzzeln es an die schon bestehende Landschaft. Bei Bedarf dürfen wir auf dieses Plättchen einen unserer vier Insulaner stellen: Auf die Insel stellen, auf den Steg stellen, aufs Meer legen oder auf das Dorf stellen (Der Insulaner darf nicht dorthin gestellt werden, wo schon ein anderer Insulaner steht). Wird dadurch die Insel/das Meer/der Steg/das Dorf abgeschlossen, wird eine Wertung ausgelöst und wir erhalten Bananen/Fische/Muscheln oder beim Dorf ein beliebiges Handelschiff (Punkte). ACHTUNG: Es gibt kleine Änderungen zu den bekannten Carcassonne-Regeln: Statt einen Insulaner einzusetzen, dürfen wir auch einen Insulaner wieder zurück in unseren Vorrat nehmen. Die Meerwertung findet ebenfalls statt, wenn wir an das betreffende Meergebiet ein Landschaftsplättchen mit Fischerboot legen. Anschließend wird der Fischbestand in diesem Meergebiet reduziert. Am Ende des Zuges erhalten wir die Möglichkeit, unsere Rohstoffe an eines der ausliegenden vier Handelsschiffe einzutauschen. Das Spiel endet, wenn das letzte Landschaftsplättchen gezogen wurde oder aber alle Handelsboote ertauscht wurden. Dann erhalten noch alle verbliebenden Insulaner alle (!) die ihnen zustehenden Rohstoffe, welche noch im Verhältnis 1/3 Punkte für die Endwertung bringen.

Gesamteindruck
Carcassonne Südsee spielt sich mit wenigen Regeländerungen wie das Carcassonne-Original: Landschaftsplättchen ziehen, die beste Position für es an der schon ausliegenden Landschaft finden und evtl. einen Pöppel positionieren. In der Südsee müssen wir aber den Umweg über die Handelsschiffe nehmen, um Punkte zu erhalten. Dafür gilt es, im richtigen Augenblick, die richtige Menge an Rohstoffen bereitzuhalten, um eines der ausliegenden Handelsschiffe abgreifen zu können. Aus diesem Moment zieht Carcassonne Südsee die Spannung beim Spielen. Dadurch sind wir gezwungen, unsere Spielweise sehr viel kurzfristiger auszurichten, als dies noch in der in Frankreich spielenden Version nötig war, denn wir benötigen nun einen kontinuierlichen Fluss an Waren, um uns die Siegpunkte ertauschen zu können. Lagen unsere Pöppel im Originalspiel manchmal bis zum Spielende auf Wegen und Wiesen, so nötigen uns die Handelsschiffe immer wieder Wertungen auszulösen, um an Bananen, Fische und Muscheln zu kommen. Die geringe Anzahl von nur vier Insulanern und die Fischerboote, mit denen wir auch in nicht abgeschlossenen Meeren eine Fischwertung auslösen können, treiben dies zusätzlich an.

Dadurch geht leider das zentrale Spannungselement und die Konfrontationsebene aus dem Originalspiel verloren. Dort lohnte es, sich an punkteträchtige Burgen, Wege und Wiesen "heranzuwanzen" und mitunter durch zwei Pöppel sogar eine eigene Mehrheit herbeizuführen. Die früheren Wiesenmehrheiten brachten zahlreiche und wichtige Siegpunkte für die Endwertung ein, ohne die nur schwer gewinnen konnte, gleichzeitig musste man sich um viele Burgen auf dieser Wiese bemühen. Es war ein wichtiges und spannungsreiches Element, den richtigen Moment für das Setzen der Pöppel auf die Wiese zu finden, schließlich blieben sie bis zum Ende des Spiels liegen und die Mitspielenden lauerten meist auf dieselben Wiesen.

"Savoir vivre" in der Südsee meint vor allem: schnell sein!
In der Südsee dagegen lohnt es kaum, mehrere Züge in Kauf zu nehmen, um sich noch auf einer Insel oder einem Steg einzuklinken, eine Mehrheit herbeizuführen noch weniger. Dafür haben wir mit vier Insulanern einfach zu wenig, als dass wir sie für langfristige Aktionen abstellen könnten. "Savoir vivre" in der Südsee meint: schnelle Arbeit, schnelle Wertung. Dies nimmt die Konfrontation aus dem Spiel, statt zu attackieren, sorge ich lieber dafür, dass ich alle geforderten Rohstoffe beisammen habe, wenn die punktereichen Schiffe auftauchen. Die Fischwertung über die Meerfelder wird fast ausschließlich über die Fischerboote ausgelöst, diese Spielmechanik ist wichtig, um für einen konstanten Fischfluss zu sorgen, irgendwie aber auch nicht so schön: Oft wertet erst ein Mitspieler einen Haufen Fische, dann mache ich dies an derselben Stelle und im Anschluss lohnt es für einen weiteren Mitspieler fast immer noch, eine erneute Fischwertung im selben Meer durchzuführen – entscheidend ist hier das Glück, das richtige Plättchen nachzuziehen.

Carcassonne Südsee überzeugt in der wunderschönen Gestaltung der Südsee-Landschaftsfelder. Das Südsee-Flair ist schön eingefangen worden und beweist einmal mehr, dass eine wichtige Carcassonne-Komponente in der gemeinsamen Puzzlearbeit an einer sich jedes Mal verändernden Landschaft innewohnt. Alleine die zahlreichen Fischerboote auf den Meerplättchen fallen hinsichtlich des Südsee-Flairs aber leider völlig aus dem Rahmen: Können wir auf dem Schachtelcover noch die südseetypischen Holzkatamarane bewundern, sehen die Fischerboote auf den Landschaftsplättchen aus, als wenn ein Schotte im Loch Ness fischt. Und so schön wie die Holz-Rohstoffe aus Bananen, Fische und Muscheln auch sind, die Anzahl der Fische ist definitiv zu dürftig geraten. Ich habe es mehrfach erlebt, dass durch die hohe Anzahl an Fischwertungen die beigelegten Fische zu gering sind.

An Carcassonne Südsee kann man wunderbar erkennen, dass Klaus-Jürgen Wrede 2001 mit Carcassonne ein Spiel geschaffen hat, welches das absolute Maximum aus der Spielidee rausgeholt hat. So stimmig, dass fast alle weiteren Variationen bisher immer nur schlechter waren. Das spricht nicht gegen die neuen Varianten, sondern vor allem für Wredes Erstling.

Carcassonne befindet sich aktuell scheinbar "Around the world" – so weist es jedenfalls die Spielschachtel aus. Daraus könnte man schließen, dass wir in nächster Zeit noch mehr Carcassonne-Varianten von anderen Ecken des Globusses entdecken dürfen. Davor grauen tut es mir nach der Station in der Südsee nicht, ich hoffe aber, dass zukünftigen Varianten nicht in der Selbstzweck-Schiene vieler anderer Spieleklassiker enden. Das wäre schade um den schönen Qualitätsnamen Carcassonne!

Fazit
Carcassonne Südsee ist vor allem eins: nett. Nett anzusehen und nett zu spielen. Aber Konfrontation durch gezieltes Anbauen an Gebiete der Mitspielenden und die spannende Suche nach dem richtigen Zeitpunkt und Ort für das "Wiesenlegen" fallen gegenüber dem Original nun weg und werden vermisst. Für alle, die das "richtige" Carcassonne nicht mehr sehen können, Carcassonne aber als Spiel schätzten, welches man fast jedem Nicht- oder Wenigspieler vorlegen konnte, würde ich es als schöne Variation des Themas empfehlen. Alle anderen sollten zum Original greifen!



19. Februar 2014 - (jd)

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