Rezension von Die GulliPiratten - Der Schrecken der Kanalisation


Rezension

Ersteindruck
Optisch entführt das Spiel Die GulliPiratten (sic!) - Die Schrecken der Kanalisation die Spielerinnen und Spieler zuerst einmal in die Welt der gezeichneten und animierten Kinderfilme. In die nämlich, in denen kleine Helden und Bösewichte in Gestalt von Tieren in der Welt der Menschen herumwuseln und, kaum beachtet, in Nischen und anderen verborgenen Orten kleine und große Abenteuer bestehen. Auch nach mehrmaligem Auspacken der Spielschachtel verspüre ich jedenfalls eine kleine Wehmut an die samstäglichen, kostenlosen Filmvorführungen für Kinder in der städtischen Kultureinrichtung meiner Heimatstadt. Da flimmerten dann in einem restlos voll besetzten und mit schweren Vorhängen dunkel gemachten Raum Filme wie Feivel der Mauswanderer, Bernard und Bianca oder Basil, der große Mäusedetektiv über die Leinwand. Ein Thema, welches zeitlos zu sein scheint, Walt Disney produziert noch immer in regelmäßigen Abständen Filme aus diesem "Genre" (Toy Story, Das große Krabbeln, Ratatouille). Diesem Thema also nimmt sich das neue Spiel von Andreas Pelikan an.

Thema & Ziel des Spiels
Wir Spielenden begeben uns in die Welt dieser kleinen possierlichen Tierchen. Jeder von uns kommandiert eine kleine Bande Piratten, die sich unter den Gullideckeln der Stadt auf die Jagd nach wertvollem Müll begibt. Dort gilt es zum richtigen Moment die besten Plätze auf den drei Booten zu ergattern, um den wertvollsten Müll, der da unten so schwimmt, abgreifen zu können.

Spiel-Vorbereitungen
Zu Beginn wählen wir nach dem Zufallsprinzip, welche vier der sechs zur Verfügung stehenden Charaktere uns in diesem Spiel bei unserem Beutezug begleiten werden: Ratte, Kakerlake, Kröte, Waschbär, Schnecke und Wiesel. Jeder erhält eine der ausgewählten Figuren und Start- Talismankarten (Startspieler: 3 Karten, 2.Spieler: 4, alle weiteren 5). Vor jedem der drei Schiffe wird zufällig gezogener Müll in Form von Pommestüten, Ketchup, Burgern, Püppchen, Konserven und allerlei anderem nützlichen Zeug gelegt (zweimal jeweils drei eckige Müllplättchen und ein rundes Bonusplättchen).

Spielablauf
Reihum ziehen wir entweder Talismankarten, die einem der drei Schiffen zugeordnet sind, oder wir setzen mit Hilfe der Talismankarten unsere kleinen Piratten in die Bötchen oder, wenn sie sich schon in diesen befinden, dort weiter nach vorne. Nur sechs Talismankarten dürfen sich jedoch nach dem Ziehen auf der Hand befinden.

Auf den Schiffen existieren immer vier freie Plätze. Für jeden freien Platz, den wir mit unserer Figur überspringen, zahlen wir eine jeweilige Talismankarte mehr. Je nachdem wie wertvoll der Müll vor dem Schiff ist, lohnt es sich, weiter nach vorne zu ziehen. Gelangen wir auf den Kapitänsplatz, so müssen wir in der nächsten Runde mit diesem Schiff in See stechen: In der Reihenfolge der Plätze wird der Müll vor dem Schiff aufgeteilt. Wer nichts abbekommen hat, darf netterweise mit seiner Figur im Boot bleiben und um einen Platz nach vorne rücken. Bleibt dagegen Müll übrig, dann verschwindet dieser in den unendlichen Weiten der Kloake auf Nimmerwiedersehen. Nun wird vor dem Schiff neuer Müll aufgefüllt, der neue Begehrlichkeiten weckt. Das geht solange, bis vor einem der drei Schiffe kein Müll mangels neuer Plättchen mehr aufgefüllt werden kann.

Anschließend zählen wir unsere Beute und stellen fest: Nur wer auch beim Müll wählerisch war, trägt viele Punkte davon! Grundsätzlich ist Müll nämlich nicht gleich Müll. Die punkteträchtigen Dosen bekomme ich nur auf, wenn ich auch jeweils einen Bonusmarker Dosenöffner besitze, für die geknebelten Püppchen und armamputierten Teddybären kann ich nur Lösegeld von den Menschen fordern, wenn ich einen Bonusmarker Papagei zur Vermittlung mein eigen nenne. Das punktearme Fastfood in Form von Pommes, Burgern und China-Nudeln kann ich dagegen durch die entsprechenden Bonusmarker Ketchup, Chilischoten und Milchshake beträchtlich aufwerten.

Auf unserem Beutezug durch den unterirdischen Dreck helfen uns aber noch die individuellen Eigenschaften unserer Figuren:
- Die Ratte greift grundsätzlich immer zwei der Beutestücke ab.
- Die Kakerlake zahlt immer eine Karte weniger.
- Die Kröte kann sitzen bleiben, wenn der verbliebende Müll nicht genehm ist.
- Der Waschbär muss bezahlt werden, wenn jemand an ihm vorbei möchte.
- Die Schnecke kriecht mit Glück ein Feld weiter und tauscht mit einer dortigen Figur.
- Das Wiesel darf eine zweite Aktion ausführen.
Als Spielvariante wird eine Versteigerung der zufällig gezogenen Figuren vorgeschlagen, dafür drehen wir die Schiffspläne einfach um und ersteigern sie mit Talismankarten reihum von den rückseitigen Barhockern.

Gesamteindruck
Die Mischung aus strategisch-taktischen Einsetz- und Zugspiel und dem Punktemechanismus ist gelungen. Ersteres gewinnt besonders durch die verschiedenen Eigenschaften der Figuren, der Punktemechanismus dagegen ermöglicht verschiedene Strategien und fordert so zum häufigeren Spielen heraus. Dabei gilt es immer wieder neu die Strategie zu überdenken und die Mitspieler gut im Auge zu behalten. Die verschiedenen Eigenschaften der Figuren bergen viel Potenzial für kurz und langfristige Strategien - nicht nur um die eigene zu verfolgen, sondern auch, um die der Mitspielenden zunichte zu machen.

Vor allem gilt es die Optimierung der Müllbeute durch entsprechende Bonusmarker sicherzustellen, ansonsten ist ein Sieg nahezu ausgeschlossen. Wie so oft entpuppen sich gerade die auf den ersten Blick wenig ertragreichen Punkteplättchen als echte Heilsbringer. Schafft man es, reichlich Pommes abzugreifen und auch noch beide Bonusplättchen zu ergattern, dann kann einem der Sieg kaum noch streitig gemacht werden. Doch wann genau die angepeilten Plättchen im Dunkel der Kanalisation auftauchen, bleibt dem Zufall überlassen und so müssen die Figuren taktisch klug eingesetzt werden, damit der für mich wertvollste Müll auch bei mir landet.

Zu dritt und viert lässt es sich am Besten räubern. Zu fünft sinkt das strategische Gewicht stark zu Gunsten des dann regierenden Zufalls, welche Plättchen ich abgreifen kann. Zu zweit sind die Müllplättchen in so ausreichender Fülle vorhanden, dass man sich kaum in die Quere kommt und die immer gleichen Handlungen ermüdend wirken. Auch von der aufgeführten Spielvariante, in der alle Spielfiguren per Bietmechanismus versteigert werden, sei abgeraten: Statt mehr Spielvergnügen zu bescheren, löst die Unausgeglichenheit der Kräfte richtiggehend Frust aus, da einige Figuren (z.B. die Ratte) einfach zu stark sind, als dass sie sich in der Hand einiger weniger befinden könnten.

Die Illustrationen von Marina Fahrenbach sind wunderbar stimmig und themengerecht umgesetzt. Zwar bedient das "Kinderbuchmotiv" auf dem Cover ziemlich einseitig eine Zielgruppe im Alter von 7-12 Jahren und soll auch schon potentielle Käufer abgeschreckt haben, aber mit dem Cover müssen wir ja nicht spielen. Unsere Mannschaft setzt sich aus liebevoll gestalteten Hartplastikfiguren zusammen, die durch Einrasten auf "Color-Clicks" einer Spielfarbe zugeordnet werden. Die Figuren sind wirklich schön, aber mich persönlich stört tatsächlich die graue Siedler- Räuber-Farbe. Spezialisten können sie natürlich anmalen , aber dies werden wahrscheinlich die wenigsten machen.

Bei den Müllkarten fragt man sich, warum sie so deutlich an die Konsumgüter von Mc Donalds, Burger King und Maggie angelehnt sind. Das wäre nicht nötig gewesen. Der Verlag hat mit Sicherheit keine finanziellen Zuschüsse dafür erhalten und warum muss man gesundheitlich und ökologisch bedenklichen Markengiganten eine Wiedererkennung in einem Spiel schenken, welches mit dem Cover auch noch auf das Marktsegment Kinder bis 12 Jahre abzielt? Hier sollten sich die verantwortlichen Redakteure vom Heidelbaerer Spieleverlag wirklich schämen.

Schämen sollten sie sich ebenfalls für die Anleitung und die grafische Gestaltung der zwei Übersichtsbögen. Nicht nur sind zwei Übersichtsbögen für fünf Personen mickrig, die dortigen Hieroglyphen sollen eigentlich die jeweiligen Charaktereigenschaften in Erinnerung rufen, tatsächlich haben aber selbst Vielspieler große Fragezeichen vor Augen. Und wenn schon eine überarbeitete Fassung der zum Teil schwer verständlichen Spielregel nach der Messe angekündigt wird, dann sollten sich in dieser die Regeln nicht immer noch widersprechen.

Fazit
Die Gullipiratten machen Lust auf weitere Partien! Das liegt vor allem daran, dass man immer nur vier der sechs Charaktere des Spiels zur Verfügung hat und in den ersten Partien auch die Eigenschaften der nicht benutzen Charaktere ausprobieren und in weiteren Partien die unterschiedlichen Wirkungsweisen der Charaktereigenschaften bei unterschiedlicher Zusammenstellung erkunden möchte. Nicht nur lässt sich mit den Figuren wunderbar bluffen, man verfeinert mit der Zeit die Anwendemöglichkeiten. Befindet man beispielsweise den Wachbären als reichlich uninteressant, weil kaum jemand bereit ist, eine Karte als Zoll zu zahlen, erkennt man schon im nächsten Spiel die Möglichkeit, mit ihm die Mitspieler von einem wertvollen Schiff abzuhalten, so dass ich noch auf anderen Schiffen satt beim Müll abgreifen kann, bevor ich mich diesem Schiff zuwende.

Trotz der Kritikpunkte ist Andreas Pelikan mit GulliPiratten ein stimmiges Spiel gelungen, welches bestimmt gerne öfter auf den Spieletisch kommt.



23. Mai 2012 - (jd)

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