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CollectorsPlayground empfiehlt das Spiel
Leaf

Bewertung:

Es kreucht und fleucht, die Wipfel wogen und wuchern, der Wind weht, es wächst und blättert und rauscht, Pilze sprießen und Eicheln purzeln, Eichhörnchen wuseln kreuz und quer: Der Wald steht im Saft – und boomt! Je mehr er in der Realität massakriert wird, umso heller glänzt und grüner grünt er in der Spiele-Welt, so scheint es, und der Eindruck drängt sich auf, als solle wenigstens auf dem Spieltisch alles gut sein. Bäume, Laub, die Jahreszeiten, Früchte des Waldes, lustige Nager, Wind und Wetter und allerlei Getier – die ungetrübte Schönheit der Natur breitet sich auf dem heimischen Tisch in voller Pracht und satten Farben aus, ob in »Arboretum« (2016), »Photosynthesis« und »Evergreen« (2017/2022), »Fungi« (2014), Rosenbergs »Indian Summer« (2018), in »Bosk« (2019), »Spirits of the Forest« (2018) oder »Schätze des Waldes« (2022), in »Blätterrauschen« (2020), »Hoarders« (2019) oder dem Kinderspiel des Jahres 2020, »Speedy Roll«, und den aktuellen »Mischwald«, »Forests of Pangaia« (dort eher in einer traumhaften Fantasy-Welt) oder »The Glade« sowie im zukünftigen »Mycelia« von J.J. Neville (2024). Nun ist mit LEAF von Tim Eisner ein weiterer Natur-Simulations-Versuch hinzugekommen. Allerdings geht es nicht ohne den etwas spirituell angeHAUCHTEN »Geist des Windes«, in dessen Gestalt wir die richtigen Herbstlaub-Blätter an die richtigen Stellen des Waldbodens herabschweben lassen, um Pilzkulturen bzw. -kolonien den heimeligsten Nährboden und Waldtieren die bevorzugten Winterquartiere zu schaffen. Das ist insgesamt etwas zurechtgequält, aber dennoch auch irgendwie auf nonchalante Art poetisch genug, um uns nicht zu vergrätzen. Bevor wir skeptisch brummen, kriegt uns das Spielmaterial! Die Ausstattung der Kickstarter-Deluxe-Edition ist famos – und darunter geht gar nichts, weshalb zu hoffen bleibt, dass die deutsche Kobold-Version nicht gänzlich auf Pappe setzt. Die sechs unterschiedlichen Blätter aus griffig dickem Vollholz in fünf Farben mit natürlich gemaserten Rückseiten sind nicht nur Schmuckstücke sondern auch völlig neuartige Spielstücke mit einzigartiger Haptik. Sie zu greifen, zu drehen und zu wenden, ihre Lage abzuwägen, ist ein Genuss! Und das ist die Haupthandlung, unser spielbestimmendes Tun, das LEAF komplett ausmacht und unwiderstehlich macht: Laub wählen und einpassen in ein herbstliches Waldboden-Puzzle, mit dem Ziel, Aktionen auszulösen, welche wiederum Ressourcen/Werte und Siegpunkt-Eicheln einbringen. Immer geht es um das Gruppieren – von Tiergruppen und Pilzgruppen, Letztere wachsen durch Umdrehen der hölzernen Pilz-Token, Erstere kommen als Karten über einen »Nebenschauplatz« ins Spiel. Diese Karten sind in ihrer einzigartigen Ausgestaltung durch die Künstlerin Angela Rizza neben den Laub-»Brettchen« das ästhetische Rückgrat von LEAF und verantwortlich für den Gesamt-Look. Auch wenn Rizzas Kunst und Inspiration sich erklärtermaßen aus Kindheitserinnerungen, Kinderfantasien und Kindlichem speist, wirkt LEAFs Design eher erwachsen und ernst, gediegen und streng… zum Glück, muss man sagen, denn jede Verniedlichung oder gar ein spaßiger Comic-Appeal wären katastrophal unpassend gewesen. Da fragt man sich: Wen spricht LEAF eigentlich an? Während die grandiose künstlerische Ausarbeitung und die Gediegenheit des Materials das Herz des erwachsenen Connaisseurs höher schlagen lassen, kommen die kompakten, beinahe schlichten Regeln und das einfache, solide Spielgeschehen ohne überraschende Innovation eher Familien und Gelegenheitsspielern entgegen… wobei wiederum die Wertigkeit des kunstvollen Materials dazu führen könnte, dass Eltern beim Hantieren ihrer Kinder mit den Spielkomponenten einen Infarkt erleiden. Wieso ist die Alters-Empfehlung »ab 10«? LEAF ist absolut kein Monster an Komplexität, sondern bodenständig unaufgeregtes Spielgut mit »flachen« Mechanismen: Laubblatt Handkarten-gesteuert aus offener Auslage wählen, Effekte der Blattspitzen-Kontakte mit Nachbarblättern gemäß deren Farbe abarbeiten und entsprechend auf verschiedenen Wertungsebenen Punkte bzw. Vorteile generieren. Das ist nichts Besonderes, nichts bahnbrechend Neues, aber hier ist dieses Einfache so schön, folgerichtig, haptisch reizvoll und in der Spielhandlung angenehm, bleibt zugleich kompakt, schnell und rund. Da ist nichts zuviel. LEAF spielt sich wie ein abstraktes Taktik-Puzzle – und die Anbau-Möglichkeiten der Blätter mit ihren Blattspitzen, die wie Kontakt-Finger zueinander streben, sind genial. Das ist etwas, das sollte man Kindern ab 6 Jahren keinesfalls vorenthalten! Subtil ist das nötige Timing bei den Blatt-Entscheidungen und die Tatsache, dass mein gelegtes Spielstück nicht mir selbst mit seiner Farbe nützt, sondern nur die berührten Blattspitzen für mich Auswirkungen haben – an meinem gelegten Blatt aber die folgenden Spieler anschließend ihre eigenen Vorteile generieren. Der Laubteppich breitet sich aus – und die Tischmaße sollten großzügig sein, denn sonst könnten Begrenzungen die Spielentscheidungen beeinflussen. Und – das wissen wir inzwischen – der Ginkgo ist böse: Mit seinen nur drei Kontaktpunkten und seiner bogenförmigen Kontur bildet er stets eine Außenkante des Blätterfeldes, die nur schwer zu überwinden oder zu umgehen ist. Vielleicht hat LEAF genau die Balance zwischen wertig-anspruchsvollem Abstraktspiel und familien-tauglichem Thema gemeistert, weshalb ihm ein breites und wohlwollendes Publikum zu wünschen ist – nicht zuletzt wegen der zugleich etwas düsteren wie sympatischen Grafik von Angela Rizza.